Die musikalische Gestaltung des traditionellen “Großen Zapfenstreichs” zur Verabschiedung eines Kanzlers oder einer Kanzlerin ist stets Gegenstand zahlreicher Deutungsversuche. Das wird am Montagabend nicht anders sein, wenn Olaf Scholz feierlich aus seinem Amt entlassen wird. Laut Medienberichten hat sich der scheidende Kanzler einen Auszug aus dem 2. Brandenburgischen Konzert von Johann Sebastian Bach gewünscht. Vermutlich, weil er in dem Bundesland wohnt und dort seinen Wahlkreis hat. So weit, so klassisch. Als Erstes steht jedoch In My Life von den Beatles auf dem Programm. In dem 1965 veröffentlichten Lied, das von John Lennon und Paul McCartney geschrieben wurde, geht es um Freunde, Liebschaften und Erinnerungen. Als drittes Stück folgt schließlich Respect von Soul-Legende Otis Redding, ein Song, der durch Aretha Franklins Version von 1967 zu internationalem Erfolg kam. Auf Wiedersehen. Olaf Scholz, hier am 27. September 2021, nach seinem Wahlsieg. Foto: Liesa Johannssen-Koppitz/Bloomberg Respekt war schließlich auch ein Thema, mit dem Scholz im Wahlkampf zu punkten versucht hat. Unter anderem trat er im Dezember gemeinsam mit seinen Hauptkontrahenten bei Joko und Klaas auf ProSieben auf. Der Effekt war jedoch nur von kurzer Dauer: Kurz nach dem damaligen Appell von Scholz, Friedrich Merz und Robert Habeck für Ehrlichkeit und Fairness im Wahlkampf bezichtigte man sich gegenseitig wieder allerhand Unzulänglichkeiten (u. a. O-Ton Scholz: “Fritze Merz erzählt gern Tünkram“). Bei allem Respekt legt auch die Scholzsche Liedauswahl für das Stabsmusikkorps der Bundeswehr nahe, dass der künftige Altkanzler gewohnt vorsichtig agiert. Seine Vorgängerin Angela Merkel ließ sich noch mit dem Hildegard-Knef-Song Für mich soll’s rote Rosen regnen, Nina Hagens Du hast den Farbfilm vergessen und dem Kirchenlied Großer Gott, wir loben dich von Ignaz Franz zu einer durchaus bunten musikalischen Mischung hinreißen. Als Gerhard Schröder 2005 verabschiedet wurde, gab es ebenfalls ein abwechslungsreiches Programm: Die Moritat von Mackie Messer aus Bertolt Brechts Dreigroschenoper, Summertime von George Gershwin und schließlich My Way von Frank Sinatra. Gegen Ende des Sinatra-Klassikers wirkte der sonst gern forsch auftretende Schröder plötzlich unerwartet gerührt. Das dürfte dem hanseatisch-disziplinierten Scholz am Montag zum Ende seiner Kanzlerschaft kaum passieren. Auf eine Frage zum Thema Respekt antwortete Scholz gestern beim Evangelischen Kirchentag in Hannover: “Ich will es so klar sagen: Eine Gesellschaft, in der sich diejenigen, die in ein Restaurant gehen, als etwas Besseres empfinden als diejenigen, die das Essen herstellen und an den Tisch bringen, kann nicht gut funktionieren.” Mit dem Hinweis konfrontiert, dass Respect auch auf seiner Songauswahl für Montag stehe, antwortete der scheidende Kanzler dann lachend: “Nicht ganz zufällig, wie Sie jetzt gemerkt haben.” Lesen Sie auch eine Auswahl unserer Artikel dieser Woche: ‘Die Uhr tickt’, Sekunden-Stromausfälle, lähmende Bürokratie, alternative Rendite und Vertrauenskrise. |